Einleitung
Bestimmt jeder hat den Blindtext "Er hörte leise Schritte" schon irgendwo gesehen. Er stammt aus OpenOffice/LibreOffice und kann erzeugt werden, wenn man ein neues Dokument erzeugt, "bt" (ohne Anführungszeichen) eingibt und F3 drückt. Aber viel wichtiger ist doch die Frage: Wie geht der Text weiter? Was passiert nach dem letzten Satz? Wir haben ihn weitererzählt, hier die Fortsetzung. Viel Spaß!
Er hörte leise Schritte...
Er hörte leise Schritte hinter sich. Das bedeutete nichts Gutes. Wer würde ihm schon folgen, spät in der Nacht und dazu noch in dieser engen Gasse mitten im übel beleumundeten Hafenviertel? Gerade jetzt, wo er das Ding seines Lebens gedreht hatte und mit der Beute verschwinden wollte!
Hatte einer seiner zahllosen Kollegen dieselbe Idee gehabt, ihn beobachtet und abgewartet, um ihn nun um die Früchte seiner Arbeit zu erleichtern? Oder gehörten die Schritte hinter ihm zu einem der unzähligen Gesetzeshüter dieser Stadt, und die stählerne Acht um seine Handgelenke würde gleich zuschnappen? Er konnte die Aufforderung stehen zu bleiben schon hören.
Gehetzt sah er sich um. Plötzlich erblickte er den schmalen Durchgang. Blitzartig drehte er sich nach rechts und verschwand zwischen den beiden Gebäuden. Beinahe wäre er dabei über den umgestürzten Mülleimer gefallen, der mitten im Weg lag. Er versuchte, sich in der Dunkelheit seinen Weg zu ertasten und erstarrte: Anscheinend gab es keinen anderen Ausweg aus diesem kleinen Hof als den Durchgang, durch den er gekommen war. Die Schritte wurden lauter und lauter, er sah eine dunkle Gestalt um die Ecke biegen. Fieberhaft irrten seine Augen durch die nächtliche Dunkelheit und suchten einen Ausweg.
War jetzt wirklich alles vorbei, waren alle Mühe und alle Vorbereitungen umsonst? Er presste sich ganz eng an die Wand hinter ihm und hoffte, der Verfolger würde ihn übersehen, als plötzlich neben ihm mit kaum wahrnehmbarem Quietschen eine Tür im nächtlichen Wind hin und her schwang. Könnte dieses der flehentlich herbeigesehnte Ausweg aus seinem Dilemma sein? Langsam bewegte er sich auf die offene Tür zu, immer dicht an die Mauer gepresst. Würde diese Tür seine Rettung werden?
„Er schaute müde auf seine Armbanduhr, da wurde ihm plötzlich klar, dass er morgen eine Mathearbeit schreibt und eigentlich schon längst im Bett liegen müsste,“ unterbrach eine Stimme die Spannung, die zweifelsohne zu Oma Erna gehörte. „Bitte noch fünf Minuten, bitte, bitte, bitte!“ flehten Laura und Hannes, die es liebten, wenn Opa Heinrich mit seinem typischen Hamburger Akzent seine Seemansgeschichten zum Besten gab.
„Kinners, ick glöv, die Oma hat Recht, der Gentlemen-Räuber von Altona...“ brummte Opa Heinrich mit einem Blick auf die alte Standuhr. Sofort unterbrach ihn Oma Erna liebevoll „… is eh nur ollen Spökenkrams von eurem Opa dat he sich ausgedacht hat als er noch als Kapitän auf hoher See war.“ „Nee, nee … den hat es wirklich gegeben!“ konterte Opa Heinrich etwas verärgert, „mein Opa, also euer Ur-Ur-Großvater hat den selbst noch gekannt. Und die Beute hat man nie gefunden!“ Nun wurde es allerdings wirklich Zeit für die Kinder, die Zähne zu putzen und unter die Bettdecke zu verschwinden.
„Schade,“ flüsterte Laura ihrem Bruder zu als sie bereits im Bett lag, „dass Opa uns nicht mehr erzählen konnte. Ob es wirklich einen Schatz gibt, den er versteckt hat?“ Hundemüde fielen den beiden die Augen zu. Sogar in seinen Träumen verfolgte Hannes das Abenteuer, den längst verloren geglaubten Schatz selbst zu entdecken, dann müsste sich seine Mutter nie wieder Sorgen um Geld machen. War sie doch oft so traurig, als sein Vater plötzlich arbeitslos war. Sie versuchte zwar meistens, ihre Traurigkeit vor den Kindern zu verstecken, aber den Zweien entging nichts. Schließlich waren sie zwei Meisterdetektive, die sogar letztes Weihnachten die volle Profi-Ausrüstung mit Lupe, Detektiv-Hut, Fingerabdruckpulver und Stethoskop bekommen hatten!
Am nächsten Morgen rasselte der alte Wecker schrill. Dass Oma aber auch unbedingt dieses alte Klapperding benutzen musste. Sie hätte ja wenigstens einen Radiowecker besorgen können, damit man mit fetziger Musik geweckt wird und nicht mit so‘nem ollen Gerassel, ärgerte sich Hannes. Aber Oma Erna wiegelte immer wieder mal ab: „Den hab ich schon über dreißig Jahre, und der soll dich ja nicht streicheln, sondern aufwecken!“ Schon klar. Aber wenn man einen ordentlichen Sender einstellt und die Lautstärke voll aufdreht, wird man wenigstens cool geweckt. Naja, wenigstens ist heute Freitag. Nur noch ein nerviger Schultag, und dann auf ins Wochenende. Schnell noch den Schulranzen geschnappt, Jacke an und zum Bus gerannt. Puh, das war ganz schön knapp!
In der Schule angekommen begann der Tag erst einmal mit einer Deutschstunde. Wozu musste man eigentlich extra Deutsch lernen, obwohl man es doch den ganzen Tag spricht? Noch dazu irgendwelche langweiligen Gedichte – als würde heute auch nur irgendwer so geschwollen daher reden. Endlich war die Deutschstunde geschafft und die erste Pause gekommen. Die war zwar nicht lang, aber immer wieder gut für eine Runde Tischtennis – als Schläger waren die kleinen Deutschbücher einfach super!
Jetzt stand die Mathearbeit bevor. Sowohl Laura als auch Hannes waren zwei absolute Rechen-Genies, denn als Detektiv musste man ja auf jeden Fall gut Rechnen und kombinieren können. Wen wundert es also, dass beide die Arbeit vor allen anderen fertig hatten? Hannes wollte aber nicht wie ein Streber aussehen, und so kritzelte er noch ein wenig auf den Übungszetteln herum bevor er sie etwas gedankenverloren zu Frau Hansen, seiner Mathelehrerin brachte.
„Stählerne Acht“ … „beleumundet“ … „flehentlich herbei gesehnt“ … einige Worte der Geschichte, die Opa Heinrich erzählt hatte, schwirrten Laura im Kopf herum. Was bedeuten diese Worte überhaupt? So spricht heute doch keiner mehr! Oder hatte Opa Heinrich nur irgendwelche alt klingenden Worte als Lückenfüller benutzt oder sie sogar verwechselt? Nun, Opa Heinrich ist zumindest nicht so tüddelig wie die alte Petrich von nebenan, obwohl die auch nicht viel älter ist als Oma.
Ein lautes Ding-Dang-Dong riss Laura aus ihren Gedanken – die zweite Pause. „Alles okay bei dir?“ fragte Hannes, der Laura mit seiner Frage einen riesigen Schrecken eingejagt hat. „Uff, mach das nie wieder! Weißte, ich muss immer noch an Opas Geschichte denken.“ - „Die Gentleman-Ganoven?“ - „ja, genau… irgendwie so hießen die doch. Du, ich habe eine Idee: Wir haben doch gleich Geschichte, und Herr Wolf ist doch immer so Feuer und Flamme, wenn man ihn zur Geschichte von Hamburg befragt. Lass uns den mal fragen, vielleicht weiß der ja was darüber.“ - „Geniale Idee!“ jubelte Hannes. „Aber lass uns mal etwas vorsichtiger sein, nicht dass der den Schatz selber sucht und uns vor der Nase wegschnappt.“
Gesagt, getan. Die Geschichtsstunden bei Herrn Wolf, der inzwischen auch kurz vor seiner Rente sein musste, waren oft ganz schön langweilig. „Wenn der in Rente geht, kann der als Nebenjob in der Apotheke arbeiten,“ frötzelte ein Mitschüler. „Ja genau, als Schlaftablette!“ Ja, die beiden hätten Geschichte lieber bei Frau Gellert aus der Parallelklasse gehabt, die gestaltet ihren Unterricht immer so lebendig. Naja, zumindest konnten die zwei Abenteurer jetzt den Vorteil ausnutzen, dass ihnen Herr Wolf mit seiner Leidenschaft für seine Heimatstadt wahrscheinlich mehr über den Gentleman-Räuber verraten könnte als die noch relativ junge Frau Gellert, die sie auch in Musik hatten. Die kam ja nicht einmal aus Hamburg kam, sondern ist irgendwo aus Berlin nach Hamburg umgezogen. Dafür war ihr Dialekt manchmal zum Schießen komisch.
Endlich war die Geschichtsstunde überstanden als der Lautsprecher endlich den Pausen-Gong abspielte. „Herr Wolf, kann ich Sie einmal etwas fragen?“ konnte es Hannes kaum erwarten. „Ja, kannst du. Habe ich deine Frage damit beantwortet? ... Aber ich denke, du willst mich noch etwas anderes fragen, oder?“ Was für ein unlustiger Spaßvogel! „Ich habe da eine Frage zur Hamburger Geschichte.“ Das Gesicht von Herrn Wolf hellte sich deutlich spürbar auf. War das sogar gerade ein Lächeln? Das war für diesen alten Griesgram mal echt etwas Besonderes. „Oh, … ja, gern. Wie kann ich dir helfen?“ „Kennen Sie den Gentleman-Ganoven von Altona?“ „Du meinst den Gentleman-Räuber? Kennen wäre zu viel gesagt, da müsste ich ja mehr als 150 Jahre alt sein!“
Jetzt platzte es aus Laura heraus, „oh, können Sie uns mehr über den Gentleman-Räuber erzählen? Wieso heißt der überhaupt Gentleman-Räuber? So ‚gentle‘ ist das ja nicht, anderen Leuten etwas zu klauen…“ Herr Wolf war ganz in seinem Element. Er beschäftigte sich nicht nur mit Feuereifer mit der Geschichte Hamburgs, sondern hatte damals sogar seine Doktorarbeit über ein Thema aus Hamburgs Historie geschrieben. Das „Dr. Wolf“ hatte er allerdings immer abgelehnt, denn er wollte ja nicht zu hochgestochen bei seinen Schülern ankommen.
Herr Wolf erzählte hingabevoll von der Zeit, zu der der Gentleman-Räuber lebte, ließ kein Detail aus der Zeit aus, und während Laura und Hannes so tief in den Erzählungen ihres Geschichtslehrers drin steckten, dass sie schon den Schweiß der arbeitenden Matrosen riechen konnten, fing Herr Wolf mit einem Shanty an: „Ick häff mol een Hamburger Veermaster sehn…“ Plötzlich schmetterte es mit einem Gitarrensolo weiter: „Zur 9a sollt‘ nu schnell ihr Geschichtslehrer geh‘n …“ Ja, das war unverkennbar die Gellert, die es mit Humor nahm, dass ihr Kollege gerade hemmungslos in ihre Unterrichtsstunde hinein plauderte. „Inge!“ „Karsten, du musst rüber inne 9a … die warten da uff dich. Die 5c hat jetzt Musikunterricht.“ Jäh gebremst und noch immer in Gedanken in der Geschichte Hamburgs versunken machte sich Herr Wolf auf den Weg zur Klasse 9a.
„Wat habt‘er denn mit dem jemacht? So in Jeschichte kenn ick den ja jarnich…“, wunderte sich Frau Gellert, „na ejal wat Peter und der Wolf da hatte, nu is Musike anjesacht. Schlagt bitte euer Liederbuch auf, Seite 35, …“
Den Rest des Tages waren Hannes und Laura völlig neben der Spur und in Gedanken an den Gentleman-Räuber versunken. Ein historischer Robin Hood, sozusagen. Jemand, der im schönsten Anzug und Zylinder und mit besten Manieren von den Reichen gestohlen hat, damit sich die Armen davon später etwas zu essen kaufen konnten. Als es spannend wurde, kam allerdings die Gellert ins Klassenzimmer, und das einzige was die beiden noch erfahren konnten, war dass die Beute vom letzten Coup niemals gefunden wurde.
Aber Moment mal, das bedeutet ja, dass die Sachen heute immer noch da liegen, wo der Gentleman-Räuber sie vor vielen Jahrzehnten versteckt hat! Nur, wo? Altona ist ja ziemlich groß, und bestimmt hat es auch schon andere Schatzjäger gegeben, die den halben Hafen erfolglos auf den Kopf gestellt haben. Und wer weiß, vielleicht hatte ja auch schon einer der vielen Bauarbeiter das Haus abgerissen, in dem der Gentleman-Räuber seine Beute versteckt hat. Hatte dann dieser Bauarbeiter ihnen die Beute weggeschnappt und klammheimlich in seiner Hosentasche verschwinden lassen?
Eines war klar wie Kloßbrühe: sie mussten dringend mehr über den Gentleman-Räuber erfahren! Aber wie sollten sie es anstellen? Die beiden Spürnasen brauchten unbedingt einen Plan.
Zuerst mussten sie heraus finden, wann der Gentleman-Räuber gelebt haben musste. Nun, Opa Heinrich hatte im März seinen 86. Geburtstag gefeiert, und dieses Jahr haben wir das Jahr 2020, also musste er 1934 geboren sein. „Wenn Ur-Opa also…“ „Stop! Ur-Ur-Opa,“ korrigierte Laura ihren Bruder. „Also schön, wenn Ur-Ur-Opa in unserem Alter gewesen ist als er Opa die Geschichte erzählte, müssen wir noch elf Jahre drauf rechnen. Also hat Ur-Ur-Opa die Geschichte 1946 Opa Heinrich erzählt,“ rechnete Hannes völlig richtig aus, „hat Opa mal gesagt, wie alt Ur-Ur-Opa geworden ist?“ - „Neeeeeeee, keine Ahnung.“ Verflixt, wie sollte man denn ohne vernünftige Informationen heraus finden, wann der gelebt hat? Aber vielleicht hat Mama ja eine Idee.
Beim Abendessen fragten Laura und Hannes gleichzeitig, als wenn sie in einem Chor singen würden, ihre Mutter: „Mamaaa, Opa Heinrich hat uns von unserem Ur-Ur-Opa erzählt. Wie alt war der?“ - „Der erinnert sich immer noch an Friedrich? Wow, Respekt. Apropos Respekt, man fragt ältere Menschen nicht nach ihrem Alter, das ist nicht nett und total unhöflich.“
„Aber Mama, der ist doch schon gestorben. Ist der wirklich noch böse deshalb?“ „Naja, so gesehen habt ihr auch wieder Recht. Ich habe Friedrich nicht mehr kennen gelernt, aber soweit ich weiß, haben die sich doch gerade noch kennen gelernt als Opa Heinrich noch ein Kind war bevor Friedrich dann gestorben ist. Kinder, ich habe eine Idee: Oben auf dem Dachboden haben wir doch noch einen ganzen Karton von Uropas Sachen. Vielleicht sind da ja noch ein paar alte Briefe, die eure Frage beantworten.“
Genial! So mussten die beiden Spürnasen nicht gleich alle Karten auf den Tisch legen und konnten immer noch in aller Ruhe recherchieren. „Nun aber ab ins Bett mit euch, das wird mir ja sonst langsam zur Gewohnheit!“ „Aber Mama, morgen ist doch Samstag, da können wir ausschlafen.“ - „Trotzdem, schaut doch mal auf die Uhr: Es ist schon halb zehn Uhr abends, da gehören Kinder wie ihr auch am Wochenende schon längst ins Bett. Ab jetzt, keine Diskussion. Gute Nacht!“
Die Müdigkeit steckte Laura und Hannes immer noch in den Knochen als ihr Radiowecker sie am nächsten Morgen mit den neuesten Hits weckte. Ja, es war spät gewesen, aber warum kann man am Wochenende nicht einfach ausschlafen, wenn man schon nicht in die Schule muss? Aber hatten sie nicht etwas vor? Also, raus aus den Federn, unter die Dusche und nach einem schnellen Frühstück mit Taschenlampe und Notizblock bewaffnet rauf auf den Dachboden.
Da war er, der große Dachboden. Aber wo sollten sie jetzt anfangen zu suchen? In der alten Schrankwand, die wohl mal im Wohnzimmer gestanden haben muss? In einem der vielen Kartons, die sich in der Ecke stapelten? Im Metallregal, für das sie locker eine Leiter brauchen würden um an die obersten Kartons heran zu kommen? Verflixt nochmal. Sie kamen wohl nicht herum, ihre Mutter nochmals zu fragen, wo sie die Briefe finden würden.
„Das Zeugs von Uropa … wo war das denn noch gleich? … Ah, versucht es mal entweder in einer der mittleren Schubladen der Schrankwand oder im Karton ganz links daneben. Seid aber bitte vorsichtig, die Sachen sind wirklich alt, einiges könnte sogar wertvoll sein, und wehe es geht etwas davon kaputt!“
Endlich frisch ans Werk! Wozu dient eigentlich so ein Dachboden? Man stellt etwas sauber geputzt hin, kommt später wieder und findet es nach nur ein paar Jahren völlig verstaubt wieder. Nachdem in den drei Schubladen nur wertlose Spielzeugfiguren, unvollständige Kartenspiele, ein paar alte Papiere und ähnlich nutzloser Plunder zu finden waren, machten sich die beiden an den Karton. Bingo! Ein ganzer Stapel alter, vergilbter Postkarten und Briefe mit komischen, irgendwie anderen bunten Briefmarken, „Deutsches Reich“. Alles klar. Aber was war das? Die Briefe bestanden ja nur aus Krickelkrackel mit Zickzackmuster. Das kann ja kein Mensch lesen! Hat Ur-Ur-Opa Friedrich seine Briefe etwa in einer Geheimschrift geschrieben?
Aber klar! Dass sie darauf nicht gleich gekommen waren! Nachdem sie zwei Tage am Computer der Eltern im Internet nach einer Erklärung gesucht haben, war die Antwort doch logisch: natürlich war das keine Geheimschrift, früher hat man einfach nur anders geschrieben als heute! Die Briefe waren in Sütterlin-Schrift, der damaligen Handschrift verfasst. Und Dank einer Universität aus Innsbruck ließ sich nach einer Google-Suche sogar ein Programm finden, das ihnen die Briefe entziffert und in ein einfach zu lesendes Textformat übersetzt hat. Jetzt mussten allerdings nur noch ziemlich viele Briefe erst einmal eingescannt werden.
Doch Hannes hatte die zündende Idee: „Schau mal auf die Briefmarken. Lass uns doch mal die Briefe nach dem Datum sortieren, das auf dem Stempel steht und dann die Briefe einscannen.“ Gesagt, getan. Es ist übrigens unglaublich, wie lange es dauert bis man einen kleinen Stapel Briefe mit dem Flachbettscanner des Computers eingescannt hat, um dann irgendwann einmal einen lesbaren Text zu bekommen.
Und ebenso unglaublich war für Laura und Hannes der Inhalt der Briefe. Ur-Ur-Opa Friedrich muss Ur-Ur-Oma Helga sehr lieb gehabt haben. Ach, und was die Menschen früher für Probleme gehabt haben müssen... Wer bitte klaut denn eine dreckige, gebrauchte Schubkarre, wenn man für wenige Euros einfach im nächsten Baumarkt eine neue kaufen kann? Gab es damals etwa keine Baumärkte? Und warum kostete ein Brot fast so viel wie man an einem Tag als Lohn bekommen hat? Beim Bäcker bekommt man das doch heute für wenige Euro. Das müssen echt komische Zeiten gewesen sein.
Nach weiteren, mühsamen Tagen halten sie endlich den gesuchten Brief in der Hand!
„Meine liebste Tochter Helga,
endlich habe ich die Gelegenheit, dir aus dem Zuchthaus ein paar Zeilen zu schreiben. Leider hat mich Wachtmeister August Krüger arrestiert.
Er hat angebliche Beweise präpariert und behauptet, ich wäre der ‚Räuber mit Benimm und Zylinder‘. Was für ein Unsinn! Leider hat mir Richter Guthzeit kein Wort geglaubt und mich zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Kind, kannst du dir diese Unverschämtheit vorstellen?
Ich hoffe, Dir und Franz geht es gut. Ich habe von meiner Schwester Agathe gehört, Du bist inzwischen guter Hoffnung. Das ist die schönste Nachricht, die ich seit langem erhalten habe. Ich freue mich sehr darauf, nach meiner Haft meinen Enkel das erste Mal in den Armen zu halten.
Hochachtungsvoll, dein Vater Franz
p.s. Bitte richte meinem Compagnon Karl aus, er möchte das Paket mit meinen Sachen an meiner alten Anschrift in der Palmaillenstraße abholen und an den Toren der schiefen Ebene wie besprochen um drei Uhr fünfzehn-fünfundvierzig hinterlegen. Er wird dann schon wissen was gemeint ist.
Altona am 13. Mai 1877“
Bingo! Wenn das nicht der gesuchte Hinweis war! Nun müsste man nur noch heraus finden, was damals passiert ist. Hat Ur...großvater Franz sein „Paket“ (das musste zweifelsohne ein Teil der Beute sein) abgeholt? Wurde er womöglich nochmals geschnappt, und Wachtmeister Krüger hat die Beute beschlagnahmt oder womöglich selbst als „kaiserliches Sonderhonorar“ eingesteckt? Das musste unbedingt heraus gefunden werden!
Okay, wie war denn der komplette Name? Franz. Franz was? Ach so, natürlich: der Briefumschlag. Franz Müller. Na, toll! Wie bitte soll man etwas über jemanden heraus finden, der so einen Allerweltsnamen trägt? Wahrscheinlich hieß sogar der Dackel des Nachbarn Müller mit Nachnamen. Das alleine sollte unsere beiden Detektive wohl nicht weiter bringen.
„Und was bitte soll eine schiefe Ebene sein? So ein Blödsinn. Entweder, etwas ist schief, dann ist‘s ein Hügel, oder etwas ist eben, also gerade!“ mokierte sich Hannes verärgert. Doch so einfach würde er trotzdem nicht aufgeben.
Laura hatte eine Idee: „Lass uns doch mal im Stadtarchiv fragen. Da heben die doch bestimmt alles Mögliche an alten Dokumenten auf. Klar, im damaligen Altona wird es wohl 54.498 gegeben haben, die Müller hießen. Aber was meinst du, wie viele von denen Franz hießen und im Mai 1877 verhaftet, von Richter Guthzeit verurteilt wurden und vielleicht noch mit einem Carl Dingsbums in Verbindung gebracht wurden?“
Hannes konnte sich nicht entscheiden, wie er reagieren sollte. Eigentlich ärgerte er sich unheimlich darüber, dass er nicht selbst auf die Idee gekommen war, und außerdem konnte er es nicht leiden, wenn ausgerechnet seine Schwester recht hatte. Auf der anderen Seite hätte er am liebsten vor Freude einen Luftsprung gemacht, dass sie nicht wegen so einer Lappalie doch noch aufgeben mussten.
Nach einer kurzen Google-Suche ließ sich herausfinden, ob und wo es ein Stadtarchiv gab. Im Stadtarchiv angekommen freuten sich Laura und Hannes besonders darüber, dass man heutzutage alle historischen Dokumente auch am Computer anschauen konnte. Eigentlich klar, denn wenn jeder an den alten Papieren herum fummelt, sind die nicht mehr lange historisch, sondern irgendwann einfach versaut und vergriffelt. Und wie es zu erwarten war, im Computer konnte man sogar automatisch suchen! Kein tagelanges Gewühle, eine einfache Suche brachte es zu Tage: Franz Müller, wohnhaft in der Palmaillenstraße 3 in Altona wurde tatsächlich am von Polizeiobermeister Krüger am 5. März 1977 verhaftet und schon am 10. März zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Wow, das ging ja richtig schnell damals.
Allerdings echt unfair war, dass er noch in seiner Haft gestorben war, nämlich am 2. Januar 1880. „Total gemein,“ ärgerte sich Laura, „der hätte doch nur noch zwei Monate gehabt und dann hätte er seinen Enkel sehen können.“ „Das stimmt, echt fies. Aber weißt du eigentlich, was das für uns bedeutet?“ murmelte Hannes, „der hatte keine Chance mehr, seine Beute abzuholen. Einen Carl… irgendwas hat man als Räuber übrigens nie verhaftet, der verschwand von einem Tag auf den anderen von der Bildfläche. Das heißt, das Zeugs liegt vermutlich immer noch da, wo Carl-Dingsbums es versteckt hat. Und als Ur-Ur-Ur-Erben von Ur...Opa Franz gehört das Zeugs dann ja sowieso uns!“, brüstete sich Hannes. Der genaue Name war Carl Ludwig Krause, wie die beiden später heraus fanden, und in der Tat – er wurde nie verhaftet!
Unsere beiden Detektive waren aber neugierig, was mit dem Räuber, unter dem wir ihn jetzt kennen - Carl Ludwig Krause – passiert sein mag. Der der Computer im Stadtarchiv spuckte lediglich einen Brief aus, in dem sich „Kalle Ludwig Krause“ von seinem Onkel verabschiedet, weil er als Heizer auf einem Schiff nach Amerika angeheuert hat.
Ein Heizer? War den Matrosen wirklich so kalt, dass sie bei der Überfahrt froren? Natürlich völliger Quatsch, wie Opa Heinrich beim nächsten Besuch aufklärte, „ein Heizer wurde früher auf einem Dampfschiff gebraucht. Früher hat man mit einem Ofen Wasser heiß gemacht – das ist so wie euer Teekessel zu Hause, da kommt ja auch Dampf raus und betätigt die Pfeife. Mit so einem Dampfdruck konnte man nicht nur laut mit der Pfeife tuten, sondern natürlich auch eine Schiffsschraube oder ein Schaufelrad antreiben. Heute nimmt man dafür natürlich Öl. Damit konnte man aber unabhängig vom Wind sehr lange Strecken überbrücken – von Hamburg nach Amerika sind es immerhin fast 4.300 Seemeilen. Das ging mit Dampf viel schneller als mit Segeln. Da musste aber natürlich ständig Kohle nachgeschaufelt werden, und genau das macht ein Heizer.“ Etwas traurig fügte er noch hinzu: „Ein undankbarer Job. Im Maschinenraum war es oft extrem heiß, bis zu 50 Grad, und die meisten Heizer wurden auch nicht besonders alt. Ich als Kapitän hatte…“
In Laura und Hannes kreisten schon die Gedanken um den Räuber, während Opa Heinrich noch in seinen alten Seemannsgeschichten schwelgte. Na, hoffentlich war dieser edle Räuber dann doch noch in Amerika angekommen und nicht irgendwo auf hoher See gestorben, wäre ja total schade für ihn. Auf der anderen Seite bestärkt das ja noch mal die Wahrscheinlichkeit, dass die letzte Beute noch irgendwo geblieben sein musste!
Erstmal mussten sie noch ein wenig über den Räuber, „Carl Ludwig Krause“ herausfinden. Also zurück ins Altonaer Stadtarchiv. Über den Namen erfuhren sie zwar nichts, aber der ‚Räuber mit Benimm und Zylinder‘ war dem Stadtarchiv-Computer nicht unbekannt. Er fiel durch genial geplante Einbrüche in Luxus-Häuser auf, in dem er die Polizei und die „Uhlen“ immer wieder austrickste. Uhle heißt zwar auf plattdeusch „Eule“, aber damit waren wohl nicht unsere gefiederten Freunde aus dem Wald gemeint. Etwas spöttisch wurden damit die schlecht bezahlten Nachtwächter in Hamburg bezeichnet, die zwar nachts auf ihren Streifengängen aktiv unterwegs waren, sich aber tagsüber irgendwo ein ruhiges Plätzchen für ein Nickerchen suchten.
Dem Gentleman-Räuber (den wir in Zukunft auch weiterhin so bezeichnen werden) fielen auf diese Weise Geld, Diamanten, Goldmünzen, Schmuck und andere wertvolle Dinge in die Hände, die er später verkaufte und vom Erlös Essen und Kleidung kaufte, die er dann an die Armen spendete. „Wow, das ist ja wirklich wie Robin Hood,“ staunte Hannes und war auch ein wenig stolz. Aha! Hier stand es schwarz auf weiß: Ur...Opa Franz wurde die Komplizenschaft vorgeworfen, weil er Schmiere gestanden und die Pläne mit ausgearbeitet haben soll.
Natürlich heißt „Schmiere stehen“ nicht, dass jemand im öligen Blaumann total dreckig irgendwo herum steht, wie Laura heraus fand, „Schmiere kommt vom hebräischen ‚schmiera‘, heißt so viel wie Wache und ist über die Jiddische Sprache zu einem deutschen Sprichwort geworden. Ach, wenn doch Herr Wolf nur ab und zu mal solche spannenden Dinge in den Geschichtsunterricht einbauen würde! Dann wäre sein Unterricht auch nicht so stinklangweilig…“
Aber zurück zum Räuber und seiner Beute. Gold, Diamanten, Schmuck, … Wahnsinn, das klingt ja fast wie ein Piratenschatz! - Der aber nach wie vor erstmal gefunden werden muss.
Apropos Schatz – den beiden Detektiven war natürlich klar, dass man heutzutage einen gefundenen Schatz nicht einfach einsacken und meistbietend im Internet vertickern dürfen wird. Die Hälfte würde an den Grundstückseigentümer gehen (wo auch immer…) und die andere Hälfte an unsere beiden Meisterdetektive als Finder. Wie viel wohl die Hälfte von Gold, Schmuck und Diamanten sein mochte?
„Schiefe Ebene… so‘n Quatsch,“, mokierte sich Hannes wieder, „naja, irgendwas wird Ur...Opa Franz sich ja gedacht haben, immerhin war ein Schatz früher wahrscheinlich noch wertvoller als heute.“ Laura kam die Idee, bei Google nach dem Begriff zu suchen, war aber nach der Erklärung „eine schiefe Ebene ist eine ebene Fläche, die gegen die Horizontale geneigt ist“ genau so schlau wie vorher. Super, sie suchten in einer riesengroßen Stadt nach einem Hang. Na, toll.
Hannes kam schließlich auf die zündende Idee. „Es gibt vielleicht viele schiefe Ebenen kreuz und quer in Deutschland, aber überleg doch mal: Hamburg ist flach wie ein Bügelbrett. Wie viele Berge wird es da wohl geben?“ - naja, den einen oder anderen Hang gab es in Altona nach wie vor, aber des Rätsels Lösung lag in Form eines Wikipedia-Eintrages vor ihrer Nase: die Schiefe Ebene war gar kein Berg, sondern ein Eisenbahntunnel, der bergauf ging. Heute heißt das Ding „Schellfischtunnel“. Darauf soll nun einer kommen!
Ein Tunnel. Auf der einen Seite geht es rein, und auf der anderen Seite kommt man raus. Woher sollten sie jetzt die richtige Seite finden? Sie konnten doch unmöglich ein ganzes Areal nach einem geheimen Schatz absuchen!
Hier konnte nur detektivischer Scharfsinn eine Lösung finden. Der Tunnel wurde 1876 gebaut und führte im Norden zum relativ belebten und wahrscheinlich auch im Dunkeln hell beleuchteten Altonaer Bahnhof, der später noch weiter nach Norden verlegt wurde. Tagsüber konnte man wohl kaum seine Beute verstecken ohne dabei beobachtet zu werden, und welcher Räuber war so dumm, seine Beute an einem hell beleuchteten, belebten Ort zu verstecken, an dem er schnell gefasst und seine Beute einfach von der Polizei beschlagnahmt würde?
Es musste der Südeingang sein – keine 300 Meter von der Palmaille entfernt. Aber, Moment mal! Palmaille? Da stand doch Palmaillenstraße. Hatte sich ihr Vorfahre in der Anschrift geirrt? Wie wahrscheinlich bitte soll das sein? Nach ein wenig intensiverer Suche fand Hannes die Lösung: „Heute gibt es eine Palmaille, früher auch noch eine Palmaillenstraße, die heißt heute aber nicht mehr so. Heute heißt die Straße ‚Behnstraße‘. Hausnummer drei muss also im südlichen Teil gewesen sein.“ - „Das sind ja nur etwa 700 Meter bis zum Schellfischtunnel!“ platzte es aus Laura heraus. Wahnsinn, sie hatten das Rätsel gelöst!
Das Ziel des nächsten Sonntagsausflugs war ja wohl klar, oder? Also ab zum südlichen Eingang des Schellfischtunnels! Die Enttäuschung war allerdings groß, als Laura und Hannes die dicken, schmiedeisernen Tore vor dem Eingang entdeckten. „So ein Mist!“ fluchte Hannes, „alles umsonst! Wie sollen wir denn jetzt…“ - „Schhhhh, sei ruhig du Dummkopf! Willst du noch den letzten Trottel auf uns aufmerksam machen?“ zischte Laura ihm zu. „An den Eingang kommt man ja schon noch ran. Aber wir können hier tatsächlich nicht die halbe Umgebung durchsuchen, das wäre ja so auffällig wie ein bunter Hund mit Brille und Blaulicht auf dem Kopf. Außerdem, irgendwie muss der Räuber ja gewusst haben, wo genau er die Beute verstecken soll. Früher war hier alles Hafen, da war tagsüber bestimmt auch der Bär los.“
Laura und Hannes überlegten: „Wo könnte man hier einen Schatz blitzschnell verstecken ohne aufzufallen und so, dass nicht jeder Trottel über den Schatz stolpern würde?“ Gar nicht so einfach, denn schließlich gab es bestimmt noch andere Schatzjäger, die sich an diesem Rätsel die Zähne ausgebissen haben. Es blieb nichts anderes übrig, als den Vater der beiden zu überreden, mit dem Handy ein paar Fotos zu machen und wieder nach Hause zu fahren.
Zu Hause angekommen ließ das Rätsel Laura und Hannes einfach nicht in Ruhe. „Das muss doch zu lösen sein, sogar ohne Smartphone und Internet – das hatten die doch damals auch nicht.“ Wo versteckt man also einen Schatz?
“Was haben wir auf dem Foto?“, begann Laura zu analysieren. „Der Bahnsteig sieht noch ziemlich neu aus. Den hatten sie achtzehnhundertschlagmichwas garantiert noch nicht.“ „Rasenfläche … okay, selbst wenn man graben muss, stolpert garantiert irgendwann mal ein trotteliger Hausmeister beim Rasen mähen über den Schatz und freut sich seines Lebens. Das wird so ein Meisterdieb garantiert nicht riskieren wollen.“ - „Ebenso wie,“ ergänzte Hannes, „beim Zugriff auf seine Beute vom Zug überfahren zu werden, also scheidet der Tunnel auch schon mal aus.“
„Was bedeutet im Brief eigentlich: um drei Uhr fünfzehn-fünfundvierzig?,“ wunderte sich Laura. „Jemand, der drei Jahre im Knast saß, für den wäre es doch völlig egal, um welche Uhrzeit sein Komplize die Beute verstecken würde. Und „drei Uhr fünfzehn-fünfundvierzig?“ Das muss doch schon damals eine komische Angabe für die Uhrzeit gewesen sein, zumal der Brief früher sicher von der Gefängnisleitung gelesen wurde und auch noch einige Tage mit der Post unterwegs sein musste.“ Es musste sich um Angaben zum Versteck handeln!
„Kinners, dat is doch klor…“ erklärte Opa Heinrich, als er gemütlich an seiner Pfeife schmauchte. „Drei Uhr, dat is keine Zeitangabe, sondern die Richtung.“ Hannes liebte den typischen Hamburger Dialekt von Opa Heinrich mit dem fast immer scharfen „s“ und dem rrrrrollenden „r“. „In der Seefahrt als auch beim Militär sacht man nich ‚rechts‘ oder ‚links‘, dat wär ja viel zu ungenau. Kiek mol auf den Stundenzeiger deiner Uhr. Wenn der nach oben zeigt, wie spät isses dann?“ „12 Uhr!“, bestätigte Hannes, dem gerade ein ganzer Kronleuchter aufging. „Jawoll, und nu sach mal, wo isses denn drei Uhr?“ - „Rechts. Aaah, wir müssen rechts suchen!“
„Und wat hadder wohl gemeint, wenn he schrieft ‚ fuffzehn-fümmundfierzich‘? Damit hadder wohl nich fümmundfuffzich Minuten und Sekunden gemeint… In der Seefahrt …“ Laura verdrehte die Augen, „schon wieder eine von seinen Seemansgarn-Geschichten…“ sie musste sich jetzt echt auf die Lippen beißen, damit Opa Heinrich nicht eingeschnappt ist. „In der Seefahrt gibt man Koordinaten erst in Nord-Süd-, und dann in Ost-West-Richtung an. Ihr müsst also fuffzehn … wat ook immer … nach oben (nen metertiefes Loch hadder ja wohl nich gegraben) und fümmunfierzich … wat ook immer nach rechts. Ick frach mich nur … funn wat?“
„Opa, können wir einen Ausflug machen, bitte, bitte, bitte, bitte? Ich habe das Rätsel gelöst,“ triumphierte Laura, „Es MUSS einfach da sein!!“ „Kinners, meint ihr nicht, dat is schon ‘n beet‘n spät? Dat wart ja glix düster, und dat reechnet ook noch.“ „Perfektes Wetter für eine geheime Schatzsuche!“ rief Hannes.
Ein wenig schmunzelnd über den Ehrgeiz seiner Enkel, aber auch stolz darüber, dass sie nicht wie andere Kinder den ganzen Tag vor dem Computer oder am Fernseher verbrachten, überredete Opa Heinrich die Mutter der beiden, für sie Taxi zu spielen. Natürlich konnte er seiner Tochter unmöglich von der Schatzsuche erzählen, die musste ihn dann ja für komplett tüddelig halten und würde ihm womöglich noch einen Pflegedienst aufs Auge drücken. Lügen wollte er allerdings auch nicht, und so sagte er wahrheitsgemäß, seine beiden Enkel wollten sich unbedingt den Schellfischtunnel anschauen, da er zur Hamburger Geschichte gehörte. Außerdem müsste sie den Weg doch sowieso fahren um die Laura und Hannes abends abzuholen, auch wenn sie morgen nicht in die Schule mussten.
In der Zeit, die die Mutter benötigte um zu Opa zu fahren, überlegten die drei, was man alles mitnehmen muss: Regenmantel, Schweizer Taschenmesser, Taschenlampe, Vergrößerungsglas und den Leitungssucher aus Opa Hannes‘ Bastelkeller. „Och Opa, willst du etwa mit deiner Bohrmaschine ein Loch in den Tunnel bohren?“ grinste Laura ihn an. „Nee, mien Lütte … aber Gold ist aus Metall. Und dat kann dat olle Ding uns anzeigen, dat is dann einfacher zum Suchen.“ Das klang logisch – und passte zudem problemlos in eine Tasche des Regenmantels. Opa Heinrich steckte zudem noch sein Seniorenhandy ein und suchte im dicken Telefonbuch die Nummer der Polizei heraus, man weiß ja schließlich nie, was einem alten Mann, einer Frau und zwei kleinen Kindern an einem Samstagabend so alles passieren könnte.
Am Schellfischtunnel angekommen schaute sich Laura zunächst um, ob auch ja niemand anderes zusah und erklärte dann: „Als Opa das mit dem Nord-Süd erklärte, war mir das klar: gemeint waren die Backsteine, schaut mal. Fünfzehn Steine vom Boden nach oben und fünfundvierzig Steine direkt von der Toreinfahrt nach rechts.“ Also in Abenteurer-Manier abgezählt, und siehe da: „Da, schaut mal, der Stein hier scheint irgendwie lose zu sein.“, flüsterte Hannes. Ein Blick links, ein Blick rechts, … puh. Niemand anderes weit und breit zu sehen. Mensch, war das aufregend!
Opa Heinrich nahm sein Schweizer Taschenmesser und fummelte flugs den tatsächlich losen Stein mühelos aus der Mauer. „Jetzt wird‘s spannend. Ein Griff in die Öffnung, und …“ tatsächlich! Ein zwar schon reichlich in die Tage gekommenes, aber erstaunlicherweise noch völlig intaktes Säckchen mit schwerem Inhalt kam ans Tageslicht! „Doa is aber noch wat…“, angelte Opa Heinrich nochmals in der Öffnung, und tatsächlich: das Trio hielt ein zweites, drittes und sogar viertes Säckchen in den Händen. „So Kinners, dat wars…“ Da sie ja nichts kaputt machen wollten, setzten Sie den Backstein wieder vorsichtig in die Mauer und gingen zur Mutter der beiden.
Der Mutter fiel die Kindlade herunter, und ihr blieb die Spucke weg: „Ich werd verrückt! So einen wunderschönen Goldschmuck habe ich ja noch nie gesehen! Und da, riesige Edelsteine, und vor allem wie viele!! Ich glaub, ich muss mich gerade mal hinsetzen.“ Alle vier staunten nicht schlecht über ihren Fund.
„Geiht dat wedder? Kind, ick glöv du fährst uns eben mal to de Polizei. Wir müssen dat abgeven um unsern Finderlohn to kregen.“ Auf der Polizeiwache konnten die Beamten kaum glauben, was unsere Detektivfamilie alles gefunden hat. Besonders stolz waren die Polizisten auch über die Ehrlichkeit der zwei Meisterdetektive.
„Die meisten anderen hätten die Sachen einfach eingesteckt und irgendwie zu Geld gemacht. Ich finde es ganz toll von euch, dass ihr zu uns gekommen seid,“ dankte die junge Polizistin Laura und Hannes, „ich bin wirklich stolz auf euch. Wisst ihr was? Wir machen jetzt erstmal eine Liste der ganzen Fundstücke, ich zeige euch dann auch mal die Bereiche unserer Polizeiwache, die nur ganz wenige Leute zu sehen bekommen, und später habe ich noch eine Überraschung für euch!“
Nachdem die Polizistin alle Einzelheiten aufgeschrieben hat, wurde wie versprochen wurde jedes einzelne Schmuckstück (immerhin 86 an der Zahl) und jeder Edelstein (über 500 Stück) fotografiert und ein paar Goldmünzen, auf eine Liste geschrieben und in den Tresor der Wache gelegt. Nach der spannenden Besichtigung der Polizeiwache wurden wurden Laura und Hannes zum Schluss mit einem Polizeiwagen zu einer kurzen Rundfahrt durch Altona nach Hause gefahren. Laura und Hannes waren stolz wie Oscar! Was für ein unglaublich toller Tag!
Erstaunlicherweise passierte erst mal nichts weiter. Dann, eine Woche später klingelte es an der Tür. „Hamburger Abendblatt. Ihr beiden müsst Laura und Hannes sein. Sind eure Eltern da?“ Laura und Hannes erzählten dem Reporter alle Einzelheiten und wie es überhaupt dazu gekommen war. Zum Schluss wurde noch ein Foto geschossen.
Es war ein Sonntagmorgen wie jeder andere - könnte man denken! Aber jetzt musste sich Opa Heinrich erstmal setzen und einen ordentlichen Schnaps auf den Schreck trinken als er in der Sonntagsausgabe seiner Zeitung die Schlagzeile auf der Titelseite sah: „KINDER FINDEN 7,8 MILLIONEN-SCHATZ!“ Wie bitte!? Fast acht Millionen Euro waren die Klunker heute wert? Uff! Als sich Opa Heinrich nach dem dritten Schnaps wieder gefasst hatte, rief er die beiden Junior-Detektive an: „Kinners, holt mal bitte eure Mutter ans Telefon. Schnell.“
Etwas erschrocken nahm die Mutter den Telefonhörer in die Hand, „Papa, bist du okay? Soll ich einen Arzt rufen??“ „Nee, mi geiht dat goot. Awwer hol di gliex mol dat Am‘dblatt.“ „Ähm, … du rufst mich ernsthaft an, damit ich mir eine Zeitung kaufe?“ Aber Opa Heinrich bestand darauf: „Nich lang schnacken - mach einfach… und nu seh to dat du los kümmst!“
Beiden Eltern von Laura und Hannes blieben die Worte weg. Sieben Komma acht Millionen Euro. Ein Historiker des Altonaer Museums hatte die Fundstücke bewertet, darunter waren nämlich auch längst verloren geglaubte Schmuckstücke und die riesigen Edelsteine, so erklärte der Historiker, konnte der Gentleman-Räuber früher natürlich auch nicht „mal eben so“ versetzen. Früher hatte niemand so viel Geld in bar unter dem Kopfkissen, und so blieben diese wertvollen Stücke in seinem Beuteversteck.
„Das Museum hat selbstverständlich ein großes Interesse daran, diese Stücke mit unschätzbarem historischen Wert in seine Ausstellung aufzunehmen,“ erklärte dieser in seinem Interview. „Aber selbstverständlich werden die Finder angemessen belohnt, schließlich gehört ihnen ja die Hälfte – und die Eisenbahngesellschaft als Grundstückseigentümer des Schellfischtunnels wird sich natürlich auch über diesen Geldsegen freuen. Die Stadt Hamburg hat sich daher entschlossen, den Wert der Stücke jeweils zur Hälfte an die Parteien auszuzahlen,“ so stand es im Artikel.
Und in der Tat, am nächsten Tag klingelte der Oberbürgermeister an der Tür, noch bevor es in die Schule ging. „Heute habt ihr natürlich schulfrei, denn ich möchte euch im Namen der Stadt für eure Ehrlichkeit danken und euch ins Rathaus zu einem Empfang einladen. Eure Eltern und eure Großeltern sind selbstverständlich auch dazu eingeladen. Eure Großeltern wissen auch schon Bescheid, wir sammeln sie dann gleich mit der Limousine auf dem Weg ins Rathaus ein.“ Und mit einem Augenzwinkern fügte er noch hinzu: „Ihr braucht übrigens nicht groß zu frühstücken, es gibt dort auch 'was ordentliches zu essen, aber zieht euch bitte 'was Schickes an, da werden ein paar Reporter tolle Fotos von uns allen knipsen...“
Und so endet nun dieses Abenteuer unserer zwei Meisterdetektive und – als angenehmer Nebeneffekt – auch die Sorgen der Eltern um ihre finanzielle Zukunft. Natürlich bleibt ein Detektiv ein Detektiv - Ehrensache, und so werden die beiden in ihrer Zukunft noch viele ungeklärte Fälle und Geheimnisse lüften, aber das sei eine andere Geschichte.
Anmerkungen
Die von uns verwendeten Namen wurden zufällig gewählt und sollen weder in der Vergangenheit noch in der heutigen Zeit einen Zusammenhang zu realen Personen ergeben. Ähnlichkeiten in dieser Richtung wären rein zufällig. Auch mag es sein, dass der eine oder andere Aspekt historisch natürlich nicht 100% korrekt ist - unsere kleine Kurzgeschichte dient ausschließlich der Unterhaltung und erhebt dementsprechend keinen Anspruch auf Richtigkeit.
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